Lust auf die neue Bahn!

Ein Tag im Leben des Bahn-Visionärs Sören Claus

Sören Claus hat kein Benzin im Blut,
sondern ein Herz für die Schiene.
Mit dieser Passion will er eine kühne Aufgabe meistern
– das beschauliche Annaberg-Buchholz im Erzgebirge zu einem
wichtigen Standort für die Bahn von morgen zu entwickeln.

Was verwegen klingt, kann eine große Geschichte werden.

Ohrenbetäubend rammt der Presslufthammer seinen Stahlmeißel in den Boden. Nur langsam dringt er in das Schiefergestein am Unteren Bahnhof von Annaberg-Buchholz ein. Dieser Schiefer verhalf dem Erzgebirge vor über 300 Jahren zur Blüte. Vor allem Silbererz versprach gute Geschäfte und einen ersten wirtschaftlichen Aufschwung in dieser armen sächsischen Provinz.

Sören Claus hat heute keinen Platz in seinem Kopf für die altehrwürdigen Geschichten rund um Reichtum und Innovation, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Er und die Mannschaft um Christian Uhlig aus der Annaberger Stadtverwaltung müssen Tempo machen für den Bau des neuen „Smart Rail Connectivity Campus – SRCC“. Noch im Jahr 2022 soll die Erfolgsstory dieses Innovationsbündnisses weiter geschrieben werden und ein erstes SRCC-Team hier einziehen. Mit einer Außenstelle der TU Chemnitz wird die kleine Erzgebirgsstadt aufsteigen in die Liga der deutschen Universitätsstädte. Wobei „Außenstelle“ nur der technische Begriff für den neuen Campus ist, von dem aus die Welt der Eisenbahnin die Moderne katapultiert werden könnte.

Man riecht förmlich noch die Bockwurst mit Kartoffelsalat, den Blümchenkaffee und das stetig fließende Pilsner ...

Was für eine Kulisse

Ging man noch im vergangenen Jahr mit dem früheren Technischen Leiter der Deutschen Bahn durch das ehemalige Gebäude des Unteren Bahnhofs, stand man auf einmal in einer Kulisse.

So ein Filmset kann sich niemand ausdenken. Wie auf einer Zeitreise in die 1980er-Jahre fällt der Blick auf das Schild der „HOG-Bahnhofsgaststätte“. Man riecht förmlich noch die Bockwurst mit Kartoffelsalat, den Blümchenkaffee und das stetig fließende Pilsner. Kurios: Selbst auf diesem Provinzbahnhof gab es zu DDR-Zeiten eine Minipraxis für ärztliche Behandlungen. Überbleibsel in Form von Mobiliar und Ausstattung finden sich noch immer vor Ort.

Schnee von gestern sei das zwar alles, aber ein wichtiges Kapitel der Eisenbahn in Annaberg-Buchholz, unterstreicht Sören Claus. Das neue Gesicht des zurzeit nicht genutzten Bahnhofsgebäudes werde aber der Campus sein. Zur TU Chemnitz sollen neue Mieter aus Wirtschaft und Wissenschaft gewonnen werden – entschieden haben sich bereits die Deutsche Bahn und die Frauscher Sensortechnik GmbH aus Österreich, ein erster Paukenschlag für die Fachwelt. Nicht weniger wichtig für Ingenieur Claus ist ein Vorhaben der Bundesregierung: das neu gegründete Deutsche Zentrum für Mobilität (DZM) plant den Bau einer Forschungseinrichtung genau hier.

Land statt Metropole

Natürlich will Sören Claus mit dem ganzen SRCC-Team selbst in den neuen Campus ziehen. Der gesamte Bau soll bis 2025 fertig sein – ambitioniert und gut geplant, gibt sich Claus zuversichtlich trotz der unsicheren Zeiten. Aber vor diesem so positiven Hintergrund stellt sich die Frage: Warum Annaberg-Buchholz? Warum nicht Berlin, München oder Hamburg? Warum nicht Metropole, sondern ländlicher Raum?

Natürlich hört Sören Claus diese Fragen nicht zum ersten Mal. Doch noch immer muss er schmunzeln, bevor er antwortet: „Ich habe hier praktisch mein digitales Testfeld. 23 Kilometer Erzgebirgsbahn der DB AG zwischen Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg ohne fahrplanmäßigen Verkehr, aber technisch voll einsatzbereit. Das macht uns in Deutschland keiner nach.“ Das Grandiose an seiner „Modelleisenbahn“ sei das Profil – große Steigungen und Gefälle, gepaart mit engen Kurven und wieder geraden Gleisen, machen diese Strecke zu einem Paradebeispiel für die Anforderungen, denen Bahnfahrzeuge in Deutschland heute und in Zukunft genügen müssen.

Das Grandiose an
seiner „Modell-
eisenbahn“ ist das
Geländeprofil.

Bevor er zu einer Videoschalte mit seinem Beirat eilt, unterstreicht Sören Claus noch einmal, worum es vor allem beim SRCC-Vorhaben geht – mit der Digitalisierung startet ein komplett neues Kapitel der Bahn: Die Antriebstechnik wird effizienter gesteuert, die Fahrdienstleiter können durch neue Sensoren und Lichtwellenleiter die Züge in kürzeren Abständen und doch sicher auf der Strecke dirigieren, die Fahrgäste erhalten aktuelle Informationen zum Zug und zu ihren Verbindungen direkt auf die Waggonscheiben projiziert und auch autonom gesteuertes Fahren im Rangier- und Nahverkehr wird keine Zukunftsmusik mehr sein.

Weltmarktführer schon vor Ort

Beeindruckend ist die Liste der wichtigsten Partner dieses Projektes: zuerst die Stadt Annaberg-Buchholz, der Landkreis und der Freistaat Sachsen sowie vor allem die Universitäten in Chemnitz und Dresden, die DB mit der Erzgebirgsbahn, Vodafone, Thales und das IAV Institut für Auto und Verkehr.

Schon aus dieser verkürzten Aufzählung lassen sich wichtige Ziele des „Smart Rail Connectivity Campus“ ableiten, der im Rahmen des Programms „WIR! Wandel durch Innovation in der Region“ vom Bundesforschungsministerium gefördert wird: Es geht ums Ganze – um unsere vernetzte Mobilität in den kommenden Jahrzehnten, die kluge Angebote ermöglicht, um uns sicher, schnell und verlässlich von A nach B zu bringen.

Ein Weltmarktführer ist schon da. Stolz blickt Sören Claus auf den Forschungscontainer, als er am Südbahnhof in Annaberg-Buchholz aus seinem Auto steigt. Die Frauscher Sensortechnik GmbH aus Marienkirchen in Österreich habe das Potenzial des SRCC schnell erkannt und ihre Entscheidung getroffen, erfährt man von Ralf Müller, der die Frauscher-Aktivitäten vor Ort managt. Beeindruckend ist die Geschwindigkeit, mit der Frauscher ihr Engagement im Erzgebirge in die Tat umsetzt.

Man habe nicht erst gewartet, bis der neue Campus komplett fertig sei, sondern habe direkt eine erste Forschungseinrichtung am Südbahnhof realisiert, macht Ralf Müller deutlich. Natürlich habe dabei eine Rolle gespielt, dass die DB Netz AG schon 2018 genau hier das erste voll digitalisierte Stellwerk in der Bundesrepublik in Betrieb genommen habe. Auf diese Weise könne man die von Frauscher entwickelten Innovationen in der Realität erproben und anpassen, wo es notwendig sei.


So habe man zügig über zwei Kilometer modernste Lichtwellenkabel verlegt sowie Sensortechnik verbaut, die in Echtzeit nicht nur Achsen und Zuglängen messen, sondern auch Abstände zwischen den Zügen sowie Länge, Gewicht und Zugnummern real übermitteln. Diese Technik soll künftig kürzere räumliche Abstände zwischen den Zügen möglich machen und so die Streckenkapazität steigern.

Mehrere Millionen Euro hat das Unternehmen bereits in die Hand genommen, um in Annaberg-Buchholz zu investieren.

Die Kraft des Fördervereins

Dieses starke Signal hat Sören Claus mit in das an der Teststrecke liegende Schlettau genommen. Im schmucken Schloss tagt wieder einmal die Mitgliederversammlung des SRCC e.V.

Sören Claus weiß um die Kraft und Macht seiner Mitglieder. Fast 50 Institutionen, Unternehmen und meinungsstarke Privatpersonen sind es inzwischen geworden.

Und er unterrichtet sie aus erster Hand: Der Campus nimmt Gestalt an, die Deutsche BahnAG wird ein digitales Schulungszentrum auf die Beine stellen, die Forschungshalle des DZM inklusive Testzug ist avisiert, die Außenstelle der TU Chemnitz im Bau. Und – besonders für die Partner vor Ort wichtig – das neue 5 G-Netz wird ab 2023 zum Einsatz kommen. Aber nicht nur für die Teststrecke, sondern auch zur Nutzung durch die anliegenden Kommunen.

Digitale Infrastruktur vom Feinsten.

Zum Finale geht es dann um „Lucy“. Der früher im Stuttgarter Nahverkehr kreisende Triebwagen ist heute vollgepackt mit Rechentechnik und Sensoren. Seine Weltpremiere als autonom fahrendes Schienenfahrzeug hatte er 2019 mit Bravour bestanden. Neugierig, manchmal staunend hören die SRCC-Mitglieder die aktuellen Informationen der Thales AG, die als Projektpartner zum Beispiel den Einsatz von 5G für sicherheitsrelevante Anwendungen bei der Bahn erforschen wird.

Die Fahrt geht in Richtung tschechische Grenze. Einst entstand diese Strecke, um Rohstoffe von Böhmen nach Sachsen zu transportieren und umgekehrt. Heute herrscht hier Stillstand. Für Sören Claus ist klar, dass Stillstand kein guter Zustand ist. Mit dem Smart Rail Connectivity Campus will er aus seinem Testfeld im Erzgebirge ein Modell für ganz Deutschland machen.

Zuzutrauen ist es ihm.

Cookie- & Analyse Einstellungen

Voreingestellt sind ausschließlich zulässige Cookies, für die keine Einwilligung benötigt wird. Analyse und Tracking, sowie weiteren funktionellen Cookies, können Sie unter "Mehr" durch Anwählen von "Ja" zustimmen.
Weitere Infos zu Cookies und Ihrem Datenschutz stellen wir Ihnen in der Datenschutzerklärung vor.

Verweigern
Schließen
Mehr